Flexible Arbeitszeiten rechtfertigen geringeren Stundenlohn

Genießt der Arbeitnehmer mehr Freiheit und Flexibilität in seiner Arbeitszeitgestaltung, so rechtfertigt dies die Vereinbarung eines geringeren Stundensatzes im Vergleich zu Arbeitnehmern mit festen Arbeitszeiten im Rahmen einer Betriebsvereinbarung.

Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 13.9.2017, Az. 9 Sa 17/17

Sachverhalt

Der Entscheidung liegt eine Klage eines in Teilzeit beschäftigten Studenten zugrunde, der bei der Beklagten, einem ambulanten Pflegeverein, als persönlicher Assistent für Menschen mit schweren Behinderungen angestellt ist.

Im Betrieb der Beklagten wird auf Grundlage einer Betriebsvereinbarung bei der Vergütung der Arbeitnehmer zwischen einer Beschäftigung mit festgelegten Arbeitszeiten und einer Beschäftigung mit flexiblen Arbeitszeiten unterschieden. Danach erhalten die Beschäftigten mit flexiblen Arbeitszeiten, die über die monatliche Zeit, Lage und Dauer ihres Arbeitseinsatzes uneingeschränkt selbst bestimmen können, einen Bruttostundenlohn von 10,00 EUR. Die Beschäftigten mit festgelegten Arbeitszeiten, die dieselbe Tätigkeit ausführen, erhalten hingegen aufgrund Bezugnahme auf einen Tarifvertrag eine ca. 16 Prozent höhere Vergütung. Den Arbeitnehmern obliegt die Wahl, ob sie als Beschäftigte mit festen oder aber mit flexiblen Arbeitszeiten angestellt werden möchten.
Der Kläger verlangt die für die Beschäftigten mit festgelegten Arbeitszeiten geltenden Bezüge, obwohl er tatsächlich flexible Arbeitszeiten wählte. Er macht geltend, es gebe keinen Grund, die beiden Arbeitnehmergruppen bei sonst gleicher Tätigkeit anders zu vergüten. Zudem würden Teilzeitkräfte unzulässig diskriminiert werden.

Die Entscheidung des Gerichtes

In seinem Urteil hat das Gericht entschieden, dass die flexiblere Arbeitszeitgestaltung des Klägers dessen geringere Bezahlung rechtfertigt. Im Einzelnen:

Kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 TzBfG

Nach Auffassung des Gerichts liegt in der unterschiedlichen Vergütungsstruktur keine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitarbeitnehmern. Zwar führte der Kläger dazu an, dass insbesondere die in Teilzeit Beschäftigten die Möglichkeit der flexiblen Arbeitszeitgestaltung wahrnehmen und daher überwiegend von der ungleichen Gehaltsstruktur betroffen seien. Das Gericht entgegnete jedoch, dass die Ursache für den Lohnunterschied nicht in der Teilzeitbeschäftigung liegt. Vielmehr knüpft die Differenzierung ausschließlich an das Merkmal der Flexibilität der Arbeitszeiten, nicht aber an die Ausübung der Tätigkeit in Teilzeit an. Dies zeige sich bereits an der Tatsache, dass auch in der Gruppe der Arbeitnehmer mit festgelegten Arbeitszeiten Teilzeitkräfte beschäftigt werden. Zudem hat jeder Arbeitnehmer die freie Wahl, ob er im Rahmen von festen oder flexiblen Arbeitszeiten beschäftigt sein möchte, sodass eine Ungleichbehandlung allein aufgrund der Teilzeittätigkeit abzulehnen ist.

Kein Verstoß gegen § 75 Abs. 1 BetrVG/Art. 3 Abs. 1 GG

Die im Rahmen der Betriebsvereinbarung vereinbarten unterschiedlichen Lohnstrukturen verstoßen auch nicht gegen den in § 75 Abs. 1 BetrVG und Art. 3 Abs. 1 GG verankerten betriebsverfassungsrechtlichen Gleichheitsgrundsatz, wonach in Betriebsvereinbarungen vergleichbare Arbeitnehmer auch gleich behandelt werden sollen.

Zwar sieht das Gericht eine Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer mit flexiblen Arbeitszeiten und denen mit festgelegten Arbeitszeiten als im Grunde gegeben an, da beide Gruppen dieselbe Arbeit ausführen. Allerdings stellen die gegensätzlichen Arbeitszeitmodelle einen Unterschied von solchem Gewicht dar, der es rechtfertige, bei der Vergütung zu differenzieren und für Mitarbeiter mit flexiblen Arbeitszeiten eine geringere Vergütung vorzusehen.

Denn der Arbeitnehmer mit flexiblen Arbeitszeiten muss sich hinsichtlich des Umfangs und der Lage seiner Arbeitszeiten im Gegensatz zu den Beschäftigten mit festen Arbeitszeiten gerade nicht dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterwerfen. Seine Arbeitsleistung ist „zwar nicht im Kern weniger wert“. Sie hat im Ergebnis wegen des damit einhergehenden Kontrollverlustes jedoch weniger Nutzen für den Arbeitgeber. Die Tatsache, dass das Weisungsrecht des Arbeitgebers beschränkt und dieser für die Abdeckung des anfallenden Arbeitsbedarfs im Ergebnis auf den „good will“ des Arbeitnehmers angewiesen ist, rechtfertigt eine daran anknüpfende Ungleichbehandlung bei der Vergütung.

Fazit

Im Lichte dessen, dass der Wunsch nach Flexibilisierung der Arbeitszeiten auf Seiten der Arbeitnehmer immer größer wird und entsprechend flexible Arbeitsmodelle wie „Home-Office“ und variable Arbeitszeiteinteilung zunehmen, ist die Entscheidung des Gerichts von hoher Relevanz. Sie zeigt auf, dass innerhalb betrieblicher Vergütungsstrukturen - sei es im Rahmen von betrieblichen Einheitsregelungen, sei es individualvertraglich - nach der dem Arbeitnehmer gewährten Arbeitszeitflexibilität unterschieden werden darf. Im Ergebnis ist die Entscheidung angemessen, denn der Arbeitnehmer genießt aufgrund der größeren Flexibilität in seiner Zeitgestaltung Vorteile, während der Arbeitgeber einen Kontrollverlust erleidet.

Das Urteil ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch auf die flexible Wahl des Arbeitsortes durch den Arbeitnehmer übertragbar. Allerdings sollte der Arbeitgeber bei der Ausgestaltung von Vergütungsstrukturen insofern Vorsicht walten lassen, als dass er nicht die Schwelle zu einer unzulässigen Benachteiligung von Teilzeitkräften übertritt. Es muss daher Sorge getragen werden, dass nicht nur Teilzeitkräften schlechter vergütete, aber flexiblere Arbeitsmodelle und andersherum nur Vollzeitkräften besser bezahlte, aber unflexible Arbeitsmodelle angeboten werden.

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