Fahrtkostenentschädigung: Ermittlung der „kürzesten“ Strecke zum Arbeitsplatz

Wie die Formulierung „die kürzeste mit dem Pkw zurückzulegende verkehrsübliche Fahrstrecke“ zu verstehen ist, hatte im Mai 2018 das Bundesarbeitsgericht (BAG) zu entscheiden. 

BAG Urteil vom 15.05.2018 – 1 AZR 37/17 

Sachverhalt

Die Parteien stritten über die Höhe eines Fahrtkostenentschädigungsanspruchs. Die Klägerin (K) wurde aus betrieblichen Gründen von ihrer Regelarbeitsstätte an eine von ihrem Wohnort weiter entfernte Arbeitsstelle versetzt. Die Höhe der Fahrtkostenzuschüsse sowie der Ausgleich des zeitlichen Mehraufwands waren in einer Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) pauschalisiert geregelt.
 
Darin hieß es auszugsweise: 
„Die Ermittlung der zusätzlich zurückzulegenden Entfernungskilometer erfolgt unter Zugrundelegung der kürzesten mit dem Pkw zurückzulegenden verkehrsüblichen Fahrstrecke zwischen Wohnung und alter bzw. neuer Regelarbeitsstätte/ständiger Dienststelle.“

Die Distanz zu der neuen Regelarbeitsstätte der K über die Bundesstraße betrug 144,4 km. Dagegen umfasste die Fahrt über die Autobahn 151,8 km, war aber um 32 Minuten kürzer. K war der Auffassung, dass für die kürzeste verkehrsübliche Strecke zwischen ihrem Wohnort und der neuen Dienststelle auf die Autobahnstrecke abzustellen sei. Diese Strecke sei zwar 7,4 km länger als über die Bundesstraße, erbringe aber eine Zeitersparnis von 32 Minuten. Für die Beurteilung der Verkehrsüblichkeit sei maßgeblich, welche Strecke ein verständiger Fahrer für seine Fahrt wählen würde. In diesem Zusammenhang seien Aspekte wie Zeitersparnis, ein geringerer Spritverbrauch, Umweltfreundlichkeit oder Verkehrssicherheit der Strecke zu berücksichtigen.
 
Urteil des BAG

Entgegen dieser Auffassung urteilte das BAG, dass für die Bestimmung der kürzesten Verkehrsanbindung die Fahrstrecke nach Entfernungskilometern maßgeblich sei, in diesem Fall also die 144,4 km lange Strecke über die Bundesstraße. Zu dieser Auffassung gelangte das BAG im Wege der Auslegung der Formulierung „die kürzeste mit dem Pkw zurückzulegende verkehrsübliche Fahrstrecke“.
 
Die Auslegung einer Betriebsvereinbarung richte sich wegen ihrer normativen Wirkung nach den Grundsätzen der Tarifvertrags- und Gesetzesauslegung. Dabei ist ausgehend vom Wortlaut der Klausel auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung abzustellen.
 
Der Wortlaut der Klausel sei hier nach Auffassung des BAG bereits eindeutig. Die Formulierung „kürzeste Strecke“ impliziere, dass mehrere verkehrsübliche Fahrstrecken existieren, von denen die nach der Kilometerzahl geringste ausschlaggebend sei. Die Verwendung des Begriffs „kürzeste“ wäre überflüssig und bedürfte keiner gesonderten Erwähnung, wenn man für die Verkehrsüblichkeit ausschließlich darauf abstellen würde, welche Strecke ein verständiger Autofahrer wählen würde. Der Begriff „verkehrsüblich“ sei für die Bestimmung der Streckenlänge nur eingeschränkt relevant. Hierdurch werde lediglich klargestellt, dass mit dem Pkw nicht befahrbare oder nicht allgemein benutzbare Strecken ausgeschlossen seien. Eine andere Wertung ergäbe sich im Fall der Verwendung von Adjektiven wie „verkehrsgünstig“, „vorteilhaft“ oder „verkehrssicher“. Diese würden eher darauf schließen lassen, dass auch weitergehende Kriterien wie Sicherheit oder Fahrkomfort einzubeziehen seien.
 
Dieses Ergebnis der wörtlichen Auslegung werde durch den systematischen Zusammenhang gestützt, da die Erstattung der Mehraufwendungen auf Grundlage der GBV über einen mehrjährigen Zeitraum erfolge. Wären bei der Fahrtkostenentschädigung subjektive Erwägungen maßgebend, könnte die Erstattung wechselnden Bewertungen unterliegen, wie beispielsweise konkreten Verkehrsverhältnissen oder Unfallstatistiken. Dies widerspräche jedoch dem Zweck einer – wie hier gewählten – pauschalisierten Erstattung.
 
Was dies für die Praxis bedeutet

Auf den ersten Blick würde sich jeder verständige Autofahrer bei der Bestimmung „kürzeste verkehrsübliche Fahrstrecke“ für die Strecke über die Autobahn entscheiden. Diese ist zeitlich kürzer und meist stressfreier. Die Autobahn ist sogar statistisch sicherer, da auf Bundesstraßen mehr Unfälle geschehen. Dabei ist es für jeden Autofahrer evident, dass er auf seiner Dienststrecke nur geeignete, zugelassene Straßen nutzen soll. Forstwege und Anliegerstraßen sind nicht zu befahren, auch wenn sie kürzer sind. Das BAG hat hier jedoch die Auslegung der Regelung klar vorgegeben.

Als Konsequenz müssen daher Arbeitnehmer bei der Geltendmachung von Fahrtkosten genau beachten, wie eine jeweilige Klausel in individual- oder kollektivvertraglichen Regelungen formuliert ist. Im Zweifel muss die kürzeste Distanz unabhängig von ihrer Dauer gewählt werden.

Arbeitgeber hingegen sollten prüfen, wie vorhandene Regelungen formuliert sind. Ggf. können so Einsparungen durch geringere Erstattungsbeträge für Fahrtkosten erreicht werden.

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