Schwächerer Sozialschutz bei rentenberechtigten Arbeitnehmern

Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 27. April 2017 – 2 AZR 67/16

Der Arbeitgeber muss bei betriebsbedingten Kündigungen bekanntlich eine Sozialauswahl vornehmen. Die zu berücksichtigenden Faktoren sind die Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und eine etwaige Schwerbehinderung. Je mehr der Arbeitnehmer von den vorgenannten Faktoren vorweisen kann, desto höher ist sein Sozialschutz. Dabei schützte das KSchG bislang ältere Arbeitnehmer besser vor betriebsbedingten Kündigungen als vergleichbare jüngere. Diese Bewertung wird teilweise kritisiert. Sie benachteilige jüngere Arbeitnehmer und könne unter Umständen altersdiskriminierend sein. In diesem Zusammenhang hat das Bundesarbeitsgericht jüngst entschieden, dass sich das Lebensalter auch zulasten älterer Arbeitnehmer auswirken könne. Arbeitnehmer, die Anspruch auf eine Regelaltersrente haben, seien bei der Sozialauswahl hinsichtlich des Kriteriums „Lebensalter“ demnach weniger schutzbedürftig als jüngere, nicht rentenberechtigte Kollegen. 

Sachverhalt

Der Arbeitgeber betreut als Arbeitgeberverband seine Mitgliedsunternehmen auch bei Gerichtsverfahren. Aufgrund rückläufiger Mitgliedszahlen fielen weniger Gerichtsverfahren an. Der Arbeitgeber kündigte daher einem mehr als 30 Jahre lang beschäftigten Juristen aus betriebsbedingten Gründen. Der Arbeitnehmer bezog bereits gerade eine Altersrente. Die verbleibenden arbeitsrechtlichen Fälle sollten künftig nur noch von 5 statt von 6 angestellten Juristen erledigt werden. Dementsprechend galt es bei der Kündigung eine Sozialauswahl vorzunehmen. Trotz des vergleichsweise hohen Alters sah der Verband den gekündigten Juristen als weniger schutzbedürftig an als seine Kollegen mit deutlich jüngerem Alter.

Sowohl das Arbeitsgericht sowie das Landesarbeitsgericht gaben der Kündigungsschutzklage des Juristen statt. Das LAG sah ihn aufgrund seiner langen Betriebszugehörigkeit sowie seines hohen Lebensalters im Vergleich zu seinen Juristenkollegen als sozial schutzbedürftiger an.

Entscheidung

Die Revision des Arbeitgebers hatte vor dem BAG Erfolg. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts müsse der Arbeitgeber den Kläger hinsichtlich des Auswahlkriteriums „Lebensalter“ aufgrund des Bezuges einer Regelaltersrente als deutlich weniger schutzbedürftig ansehen als jüngere, vergleichbare Kollegen. Konkret ging es vorliegend um eine 34-jährige Arbeitnehmerin, die einem Kind zum Unterhalt verpflichtet war.

Eine durchzuführende Sozialauswahl müsse sich anhand der vier Kriterien der Sozialauswahl, namentlich „Betriebszugehörigkeit, Unterhaltspflichten, Lebensalter und Schwerbehinderung“ richten. Beim Kriterium des „Lebensalters“ habe der Gesetzgeber berücksichtigen wollen, dass ältere Arbeitnehmer geringere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben als jüngere. Beziehe ein Beschäftigter jedoch bereits seine Altersrente, falle diese Schutzbedürftigkeit weg, betonte das BAG. Den Arbeitnehmer treffe ein Verlust des Arbeitsplatzes weniger hart, wenn er bereits eine Altersrente beziehe. Das hohe Lebensalter falle daher bei der zu treffenden Sozialauswahl weniger deutlich ins Gewicht.

Weiterhin führt das BAG aus, dass diese Auslegung auch nicht gegen Unionsrecht verstoße. Denn der Gesetzgeber verfolge damit ein rechtmäßiges Ziel. Es handle sich hierbei um ein Instrument der nationalen Arbeitsmarktpolitik, mit dem über eine gerechte Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen die wirtschaftliche Existenz von Arbeitnehmer durch den Verbleib in Beschäftigung gesichert werden soll. Das BAG sah sich insofern nicht zur Vorlage an den EuGH verpflichtet.

Ob die ordentliche Kündigung des Klägers schlussendlich wirksam ist, konnten die Erfurter Richter noch nicht abschließend entscheiden. Es ist Sache des LAG zu prüfen, ob der Arbeitsplatz tatsächlich dauerhaft weggefallen ist und die Kündigung damit begründet werden konnte. Jedenfalls die Sozialauswahl wurde – so das BAG – ordnungsgemäß durchgeführt.

Fazit

Mit der vorliegenden Entscheidung stellt das BAG klar, dass das Kriterium „Lebensalter“ im Rahmen der Sozialauswahl keine absolute Geltung für sich beanspruchen kann. Vielmehr sind in diesem Zusammenhang allgemeine sozialpolitische Wertungen zu berücksichtigen. Arbeitnehmern, die im Kündigungszeitpunkt bereits Anspruch auf eine Regelaltersrente haben, steht dauerhaft ein Ersatzeinkommen zur Verfügung. Ihre Schutzbedürftigkeit ist dementsprechend geringer. Relevant wird dieser Aspekt vor allem dann, wenn Arbeitsverträge keine vertragliche Altersgrenze enthalten. 

 

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