Rechtssichere Befristung - Was heißt denn nun „zuvor“?

Landesarbeitsgericht Niedersachsen vom 20. Juli 2017 – 6 Sa 1125/16

Hintergrund

Gemäß § 14 Abs. 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages auch ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig. Dies gilt jedoch nicht, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein befristetes oder unbefristetes Arbeitsverhältnis bestanden hat.

Mit seinen Entscheidungen vom 6. April und 21. September 2011 (7 AZR 716/09 und 7 AZR 375/10) hat das Bundesarbeitsgerichts entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung und der wohl herrschenden Meinung in der Literatur festgestellt, dass keine „Zuvor-Beschäftigung“ i.S. von § 14 Abs. 2 TzBfG vorliege und dementsprechend eine Befristung des Arbeitsvertrages auch ohne das Vorliegen eines sachlichen Grundes zulässig ist, wenn das frühere Arbeitsverhältnis mehr als drei Jahre zurückliegt. Zu diesem Ergebnis gelangte das Bundesarbeitsgericht aufgrund einer an Sinn und Zweck orientierten verfassungskonformen Auslegung der gesetzlichen Regelung.

Dieser Rechtsprechung folgend haben wohl die meisten Arbeitgeber in den vergangenen Jahren von der sachgrundlosen Befristung Gebrauch gemacht, auch wenn der betreffende Arbeitnehmer bereits zuvor – jedoch vor mehr als drei Jahren - beschäftigt wurde.

Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts hat zuletzt das Landesarbeitsgericht Niedersachen, wie bereits zuvor das Landesarbeitsgericht Hessen (8 Sa 1578/16 vom 11 Juli 2017) und das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (3 Sa 34/16 vom 13. Oktober 2016), seine Gefolgschaft verweigert.

Entscheidung

Das Landesarbeitsgericht Niedersachen stellte fest, dass § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG - entgegen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts – ein zeitlich unbegrenztes Vorbeschäftigungsverbot regelt. Dieses ist nicht auf frühere Arbeitsverhältnisse beschränkt, die weniger als drei Jahre zurückliegen.

Das Landesarbeitsgericht begründet dies insbesondere mit dem eindeutigen Wortlaut der gesetzlichen Regelung, der jedes vor dem aktuellen Arbeitsverhältnis bestandenes Arbeitsverhältnis ohne zeitliche Begrenzung erfasse, sowie einer Auslegung anhand von Regelsystematik, Entstehungsgeschichte des Gesetzes und Normzweck.

Das Landesarbeitsgericht hat, wie bereits zuvor die Landesarbeitsgerichte in Hessen und Baden-Württemberg, die Revision zugelassen.

Praxishinweis

Es bleibt abzuwarten, ob das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsauffassung angesichts der anhaltenden Kritik noch einmal abändert. Es ist jedoch vermehrt damit zu rechnen, dass Arbeitnehmer mit einem sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag, innerhalb von drei Wochen nach Auslaufen des letzten befristeten Vertrages Entfristungsklage erheben werden.

Um bis zu einer klarstellenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts langwierige Klageverfahren mit ungewissem Ausgang zu verhindern, muss letztlich dazu geraten werden, von der Möglichkeit einer sachgrundlosen Befristung keinen Gebrauch mehr zu machen, wenn der betroffenen Arbeitnehmer jemals zuvor im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses beschäftigt wurde.

Dies bedeutet jedoch für die Praxis, dass Arbeitgeber zumindest die Information darüber, dass ein Arbeitnehmer beschäftigt wurde, künftig länger als drei Jahre benötigten und diese Information unbegrenzt aufzubewahren ist.

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