Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Wird ein Arbeitnehmer durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert, so gewährt –mit Ausnahme der Fälle einer schuldhaften Arbeitsunfähigkeit- § 3 des Entgeltfortzahlungsgesetzes (EFZG) einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen. Eine weitgehend unbekannte und in der Praxis auch nur selten einschlägige, ergänzende Regelung enthält § 8 EFZG, nach welcher in besonderen Fällen ein solcher Fall des Anspruches auf Entgeltfortzahlung im Falle einer Kündigung auch über das eigentliche Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus begründen kann. 

Sachverhalt

Eine chirurgisch-orthopädische Gemeinschaftspraxis stellte eine neue Mitarbeiterin ein. Bereits an ihrem ersten Arbeitstag erschien diese unentschuldigt nicht zur Arbeit. Mehrere Versuche telefonisch mit ihr Kontakt aufzunehmen, um Gründe für das Fehlen zu erfragen, blieben erfolglos. Erst nach zwei Tagen erschien die Mitarbeiterin zur Arbeit. Da ihr Erscheinungsbild von den Vorgesetzten für eine Arztpraxis als nicht angemessen beurteilt wurde, wurde die Mitarbeiterin nach einem Gespräch über ihr äußeres Erscheinungsbild und Körperhygiene für den Tag nach Hause geschickt, eine Klärung des Grundes ihrer vorherigen Abwesenheit erfolgte nicht. An ihrem nächsten regulären Arbeitstag in der folgenden Woche erschien die Mitarbeiterin wiederum unentschuldigt nicht zur Arbeit, woraufhin der Arbeitgeber eine Probezeitkündigung aussprach, mit zweiwöchiger Kündigungsfrist. 

Nach Ausspruch der Kündigung reichte die Mitarbeiterin Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den gesamten Zeitraum ein. Auf diese Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung folgte ein Schreiben der Krankenkasse der Mitarbeiterin, mit welchem diese einen Erstattungsanspruch gem. §115 SGB X gegen die Praxis geltend macht. Der Beweis des ersten Anscheins spräche dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit oder deren Fortdauer Anlass der Kündigung gewesen sei, da der Ausspruch der Kündigung und der Beginn der Arbeitsunfähigkeit zeitlich zusammenfielen und fordert daher den Arbeitgeber auf, Entgeltfortzahlung für die Dauer von sechs Wochen zu leisten. Dies aufgrund übergegangenem Anspruch nicht an die (ehemalige) Mitarbeiterin, sondern an die Krankenkasse. Die Krankenkasse berief sich hierbei auf ein Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 20.08.1980 (5 AZR 218/78), wonach es aufgrund des zeitlichen Zusammenfallens von Krankheit und Kündigung, Aufgabe des Arbeitgebers sei, den Anschein einer krankheitsbedingten Kündigung zu widerlegen.

Rechtliche Aspekte

Dieser Fall beinhaltet gleich zwei unterschiedliche Aspekte des Entgeltfortzahlungsgesetzes: Zunächst ist auf die (meist) unbekannte Regelung des § 8 EFZG hinzuweisen, nach welcher der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht dadurch berührt wird, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt. Dies bedeutet, dass für den Fall einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses „aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit“ der Arbeitgeber auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus verpflichtet sein kann, für die Dauer von bis zu sechs Wochen Entgeltfortzahlung an einen (ehemaligen) Mitarbeiter zu leisten. Die Regelung des § 8 EFZG soll dabei verhindern, dass der Arbeitgeber sich pflichtwidrig und zu Lasten der Sozialversicherungen der gesetzlichen Entgeltfortzahlungspflicht entziehen kann.

Diese Regelung ist in der Praxis insbesondere relevant in den oben beschriebenen Fällen einer Probezeitkündigung, wenn ein Arbeitgeber aufgrund häufiger Fehlzeiten ein Arbeitsverhältnis noch innerhalb der Probezeit mit einer kurzen Kündigungsfrist beendet. In diesen Fällen kann –abhängig von der Dauer der Krankheit- ein Zahlungsanspruch des Mitarbeiters über das Ende des Arbeitsverhältnisses hinaus- bestehen.

Das gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis aus einem vom Arbeitgeber zu vertretenden Grunde kündigt, der den Arbeitnehmer zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigt. Diese Fälle dürften aber in der Praxis noch deutlich seltener vorkommen. Endet das Arbeitsverhältnis ohne dass es einer Kündigung bedarf (z.B. durch Befristung) oder infolge einer Kündigung aus anderen Gründen (z.B. verhaltens- oder betriebsbedingt), so endet der Anspruch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses.

Der zweite rechtliche Aspekt des Falles ergibt sich aus dem Zusammenspiel von § 3 Abs. 3 EFZG und der zitierten Regelung in § 8 EFZG.Gemäß § 3 Abs. 3 EFZG entsteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung erst nach vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses. Für die geforderten vier Wochen „ununterbrochener“ Beschäftigung ist dabei die tatsächliche Erbringung von Arbeitsleistung nicht notwendig. Es kommt allein auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses an. Wird also das Arbeitsverhältnis eines erkrankten Arbeitnehmers vor Ablauf dieser sog. Wartezeit wieder beendet, ist die Entstehung eines Entgeltfortzahlungsanspruches grundsätzlich ausgeschlossen. 

Nach der Rechtsprechung steht allerdings auch die Wartefrist in § 3 Abs. 3 EFZG den zuvor beschriebenen Ansprüchen auf Entgeltfortzahlung für die Fälle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen. Kündigt der Arbeitgeber einem erkrankten Arbeitnehmer innerhalb der ersten vier Wochen der Beschäftigung krankheitsveranlasst das Arbeitsverhältnis, entsteht der Entgeltfortzahlungsanspruch dennoch für einen Zeitraum von sechs Wochen. 
§ 8 Abs. 1 S. 1 EFZG stellt den Arbeitnehmer somit bezüglich des Entgeltfortzahlungsanspruchs so, als wäre das Arbeitsverhältnis nicht beendet worden. Im Umkehrschluss bedeutet dies wiederum für die Wartezeit im Sinne des § 3 Abs. 3 EFZG eine Fiktion. Sie gilt bei krankheitsveranlasster Kündigung sozusagen als erfüllt, sodass dem Arbeitnehmer trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses auch nach Ablauf der vier Wochen Wartezeit noch derselbe Anspruch auf Entgeltfortzahlung zusteht, wie einem Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis nicht innerhalb der Wartezeit gekündigt wurde.

Die Rechtsprechung entscheidet weiterhin für Fälle, in denen das Arbeitsverhältnis nicht beendet wird und die Arbeitsunfähigkeit über die Wartezeit hinaus besteht, die in die Wartezeit fallenden Krankheitstage nicht auf den sechswöchigen Entgeltfortzahlungsanspruch anzurechnen (vgl. BAG, Urteil vom 26.05.1999 – 5 AZR 476/98). Daraus folgend beginnt der sechswöchige Entgeltfortzahlungsanspruch erst nach Ablauf der vierwöchigen Wartezeit, besteht dann aber für einen Zeitraum von sechs Wochen. Auch wenn der Arbeitnehmer bereits innerhalb der Wartezeit für mehrere Tage erkrankt war, verkürzt sich der sechswöchige Zeitraum nicht.

Praxishinweis

Im vorliegenden Fall konnte eine Entgeltfortzahlung durch Widerlegung der Anscheinsvermutung vermieden werden, da dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erst nach Ausspruch der Kündigung zugingen und mithin keine Kenntnis von der Arbeitsunfähigkeit bestand. 
Grundsätzlich bedeutet dies aber auch, dass in dem beschriebenen Fall einer Probezeitkündigung ungeachtet der Geltung des Kündigungsschutzgesetzes den jeweiligen Kündigungsgründen weitergehende Bedeutung zukommt, um eine eventuelle Anscheinsvermutung einer Kündigung „aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit“ zu widerlegen.

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