Aus aktuellem Anlass: Kopftuchverbot in Unternehmen als unzulässige Diskriminierung?

EuGH, Schlussanträge der Generalanwältinnen vom 31.05.2016, C-157/15 und vom 13.07.2016, C-188/15

In gleich zwei Verfahren beschäftigt sich der EuGH derzeit mit der Zulässigkeit eines Kopftuchverbots in Unternehmen. Nun liegen in beiden Verfahren die Schlussanträge der beiden EuGH-Generalanwältinnen vor, die die Zulässigkeit eines Kopftuchverbots höchst unterschiedlich beurteilen.

Die Generalanwältin Julianne Kokott vertritt in ihren Schlussanträgen in dem Verfahren Az. C-157/15 die Auffassung, dass das Tragen eines Kopftuchs am Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber grundsätzlich verboten werden könne. Im Verfahren Az. C-188/15 ist die Generalanwältin Eleanor Sharpston in ihren Schlussanträgen dagegen der Ansicht, dass eine Unternehmenspraxis, nach der eine Arbeitnehmerin mit Kundenkontakt kein Kopftuch tragen dürfe, eine rechtswidrige unmittelbare Benachteiligung darstelle.

Auch vor dem Hintergrund der bislang noch höchst uneinheitlichen Rechtsprechung deutscher Arbeitsgerichte besteht in der Praxis nach wie vor ein starkes Bedürfnis einer höchstrichterlichen Entscheidung über die Zulässigkeit von Kopftuchverboten am Arbeitsplatz.

Sachverhalt und Inhalt des Schlussantrages im EUGH-Verfahren C-157/15

Die Arbeitnehmerin und Klägerin dieses Verfahrens war als Rezeptionistin bei einem belgischen Sicherheits- und Überwachungsdienst beschäftigt. Nach drei Jahren Betriebszugehörigkeit entschied sich die muslimische Klägerin, ihr Kopftuch auch am Arbeitsplatz zu tragen. Die Arbeitgeberin kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin und berief sich hierzu auf das unternehmensintern geltende Verbot des Tragens erkennbar religiöser, philosophischer und politischer Symbole. Sie ist der Auffassung, das Tragen des Kopftuchs verletze die von ihr angestrebte Neutralität.

Die Klägerin unterlag mit ihrer Klage in den ersten beiden Instanzen. Der nunmehr mit der Entscheidung befasste belgische Kassationshof legte die Sache dem EuGH vor. Dort soll geklärt werden, ob ein Kopftuchverbot für Arbeitnehmer wegen der von der Arbeitgeberin angestrebten Neutralität im Hinblick auf das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung zulässig ist.

Nach Auffassung der Generalanwältin Julianne Kokott stellt das Kopftuchverbot keine unzulässige Diskriminierung dar, da es Ausfluss einer allgemeinen Betriebsregelung zur Untersagung sichtbarer religiöser, philosophischer Symbole am Arbeitsplatz ist.

Das Verbot richte sich auch nicht gegen eine bestimmte Religion oder Weltanschauung und stelle somit keine unmittelbare Benachteiligung dar. Da das Verbot jedoch faktisch Angehörige bestimmter Religionen stärker als andere belaste und damit wie eine mittelbare Beeinträchtigung muslimischer Arbeitnehmerinnen wirken könne, bedürfe es einer Rechtfertigung. Nach Auffassung der Generalanwältin liege diese Rechtfertigung im vorliegenden Fall darin, dass das beklagte Unternehmen eine Neutralitätspolitik hinsichtlich der Religion und Weltanschauung betreibe, einen vielfältigen Kundenstamm habe sowie in der „besonderen Art der von der Belegschaft ausgeübten Tätigkeit“. Entscheidend sei damit, dass das Verbot den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre.

Sachverhalt und Inhalt des Schlussantrages im EUGH-Verfahren C-188/15

Die Arbeitnehmerin war bei einem französischen IT-Beratungsunternehmen als Projektingenieurin beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte es, regelmäßig Kunden in deren Geschäftsräumen aufzusuchen und dort zu beraten. Die Arbeitnehmerin trug bei ihrer Arbeit regelmäßig ein islamisches Kopftuch. Nachdem ein Kunde sich deswegen bei ihrer Arbeitgeberin beschwert hatte und die Arbeitnehmerin sich weigerte, das Kopftuch künftig nicht mehr zu tragen, kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis.

Die Arbeitnehmerin klagte gegen die Kündigung; das Verfahren ist derzeit beim Cour de Cassation anhängig. Dieses setzte das Verfahren aus und legte die Sache dem EuGH vor. Dort soll geklärt werden, ob das Verbot, bei der Erbringung von IT-Beratungsdienstleistungen beim Kunden ein islamisches Kopftuch zu tragen, eine unzulässige Diskriminierung darstelle.

Die Generalanwältin Eleanor Sharpston ist in ihren Schlussanträgen der Auffassung, das Kopftuchverbot stelle eine unzulässige Diskriminierung wegen der Religion und Weltanschauung dar, weil ein Projektingenieur, der seine Region oder Weltanschauung nicht bekannt habe, nicht entlassen worden sei. Zwar könne eine Benachteiligung wegen der Religion oder Weltanschauung grundsätzlich zulässig sein, hierfür sei jedoch erforderlich, dass sie aufgrund „beruflicher Anforderungen“ erfolgt wäre. Eben dieses sei vorliegend nicht der Fall gewesen, da das Tragen des Kopftuchs keinerlei Auswirkungen auf die Erbringung der IT-Beratungsdienstleistungen gehabt habe. Auch die unternehmerische Freiheit eines Unternehmens könne eine solche Beeinträchtigung jedenfalls nicht im Hinblick auf etwaige finanzielle Nachteile rechtfertigen. Im Übrigen sei ein Verbot für Arbeitnehmer, im Kundenkontakt religiöse Symbole oder Kleidungsstücke zu tragen für den Schutz oder das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft nicht erforderlich.

In ihren Schlussanträgen äußerte sich die Generalanwältin schließlich zu der – in der vorliegenden Entscheidung nicht relevanten – Frage über die Zulässigkeit mittelbarer Diskriminierungen. Danach sei eine Unternehmenspraxis, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern einen „neutralen Dresscode“ vorschreibe, zwar als eine mittelbare Benachteiligung zu werten, sie könne jedoch gerechtfertigt sein, wenn mit ihr ein rechtmäßiger Zweck verfolgt werde und sie im Übrigen verhältnismäßig sei.

Bedeutung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum Kopftuchverbot für die deutsche Arbeitsgerichtspraxis

Die Entscheidungen des EuGH stehen in beiden Verfahren noch aus. Dieser ist grundsätzlich nicht an das Votum der Generalanwälte gebunden, in der Vergangenheit ist er deren Empfehlungen jedoch häufig gefolgt.

Auch wenn die auf dieser Grundlage zu erwartenden Entscheidungen des EuGH in den beiden Verfahren unmittelbar nur innerhalb der jeweiligen Gerichtsverfahren bindende Wirkung entfalten, sind sie auch für die deutsche Arbeitsgerichtspraxis von hoher Relevanz.

Hängt nämlich die Entscheidung eines deutschen Arbeitsgerichts – etwa in einem Kündigungsschutzprozess gegen eine auf Grundlage eines Verstoßes gegen ein Kopftuchverbot ausgesprochenen Kündigung des Arbeitsverhältnisses – von der Zulässigkeit des Kopftuchverbots ab, ist das Gericht wegen der europarechtlichen Bedeutung dieser Frage grundsätzlich vorlagepflichtig. Dies bedeutet, dass das nationale Arbeitsgericht den EuGH zur Klärung der Zulässigkeit des Kopftuchverbots im Wege eines Vorabentscheidungsersuchen anrufen  und dessen Entscheidung dann der eigenen Entscheidung zugrunde legen muss.

Von dieser Verpflichtung existiert eine Ausnahme, nämlich wenn – wie hier nach Abschluss der beiden Verfahren zu erwarten – bereits ein Urteil des EuGH zu der zu klärenden Rechtsfrage existiert. Aus Art. 257 Abs. 3 AEUV folgt, dass das nationale Arbeitsgericht dann zwar auf die Stellung eines eigenen Vorabentscheidungsersuchen verzichten darf, im Gegenzug jedoch an die der Ausnahmeentscheidung zugrundeliegenden Entscheidung des EuGH gebunden ist (ErfK/Wißmann, Art. 257 AEUV Rz. 44; hierzu auch Franke SPA 2016, 101, 103).

Fazit und Praxishinweise

Die Religionsfreiheit ist von fundamentaler Bedeutung für unsere Demokratie und für viele Arbeitnehmer ein wesentlicher Teil ihrer Identität. Gleichwohl besteht das Recht zur Ausübung der Religionsfreiheit am Arbeitsplatz – etwa durch bestimmte religiöse Praktiken oder durch das Tragen religiöser Symbole oder Kleidungsstücke – nicht uneingeschränkt. Wie sehr die Religionsfreiheit im Einzelfall beschränkt werden darf, richtet sich dabei nach den Gesamtumständen in der jeweiligen Situation.

Trotz der im Ergebnis gegenteiligen Rechtsauffassungen in den Schlussanträgen in beiden Verfahren, lassen sich zumindest hinsichtlich der Zulässigkeit von neutralen Kleiderordnungen frei von religiösen oder anderen Bekenntnissen in Unternehmen Parallelen ziehen: In beiden Verfahren kommt es offensichtlich entscheidend darauf an, dass mit der – neutralen und bekenntnisfreien – Kleiderordnung ein legitimer Zweck verfolgt wird und das Verbot des Zurschaustellung eines Bekenntnisses verhältnismäßig ist.

Bislang wurde die Zulässigkeit eines Kopftuchverbots von den deutschen Gerichten höchst unterschiedlich beurteilt. Es bleibt abzuwarten, ob die zu erwartenden Entscheidungen des EuGH die widerstreitenden Rechtsauffassungen einigen und zu einer einheitlichen Rechtsauffassung der deutschen Arbeitsgerichte führen.

In der Zwischenzeit sollten Arbeitgeber, die Wert auf ein Auftreten ihrer Mitarbeiter frei von religiösen Bekenntnissen legen, darauf achten, dass entsprechende Verbote nicht nur gegenüber einzelnen Arbeitnehmern ausgesprochen werden. Zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten bietet es sich an, den Zweck einer solchen Kleiderordnung – etwa aufgrund einer religiösen und weltanschaulichen Neutralität des Arbeitgebers – im Wege einer Betriebsvereinbarung zu fixieren.

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