ESG als Chance sich gleichzeitig für Vergabeverfahren besser aufzustellen!

Geschrieben von

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Marcin Bartkowiak

Senior Counsel
Deutschland

Als Counsel und Fachanwalt für Vergaberecht berate ich in dem Düsseldorfer Team Öffentliches Wirtschaftsrecht sowie im German Desk des Warschauer Büros umfassend zu Fragen des deutschen und internationalen Vergaberechts.

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Guido Bormann

Partner
Deutschland

Ich bin Partner unseres Teams Öffentliches Wirtschaftsrecht und der internationalen Sektorgruppen Sicherheit und Verteidigung sowie Technologie und Kommunikation und berate bei großen ITK-Infrastrukturprojekten, wie dem Digitalfunk BOS und der Telematikinfrastruktur.

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Johannes Woltering

Associate
Deutschland

Seit 2017 bin ich als Associate in unserem Düsseldorfer Büro sowie als Mitglied der Praxisgruppe Öffentliches Wirtschaftsrecht tätig. Im Bereich des öffentlichen Wirtschaftsrechts berate ich im Besonderen zu Fragestellungen des Vergabe-, Wettbewerbs- und Europarechts.

Das Kartellvergaberecht wird bereits seit geraumer Zeit als Instrument zur Einführung von sozialen und nachhaltigen Aspekten auf dem Markt genutzt. Aufgrund der öffentlichen Konsultation zur Modernisierung des Vergaberechts (Public Procurement Transformation Package) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) wird sich dieser Trend noch verstärken.

Relevanz öffentlicher Aufträge

Öffentliche Aufträge und Konzessionen sind für die Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) von großer Bedeutung. Ihr Anteil wird auf 2.448 Mrd. Euro und damit mehr als 16 % am Bruttoinlandsprodukt (BIP) der EU geschätzt. Auch in Deutschland macht das öffentliche Auftragswesen mit 500 Mrd. Euro ca. 15 % des deutschen BIP aus.

Nachhaltige und soziale Anforderungen für die Beteiligung an Vergaben

Das Vergaberecht in Deutschland wird durch die §§ 97 ff. des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie im Detail durch zahlreiche untergesetzliche Rechtsverordnungen geregelt. Für öffentliche Liefer- und Dienstleistungsaufträge gilt grundsätzlich die Vergabeverordnung (VgV). Die aktuelle Ausgestaltung des Vergaberechts basiert maßgeblich auf der Vergaberechtsreform von 2016, die primär verschiedene EU-Richtlinien in deutsches Recht umgesetzt hat. Seitdem können nachhaltige und soziale Aspekte bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verstärkt berücksichtig werden, sodass sich jedes Unternehmen, das sich an öffentlichen Aufträgen beteiligen möchte, mit dieser Thematik auseinandersetzen sollte, um erfolgreich an öffentlichen Vergabeverfahren teilnehmen zu können. 

Soziale und ökologische Aspekte werden etwa bei den Zuschlagskriterien, den Ausführungsbedingungen sowie den Eignungsanforderungen berücksichtigt.

Zuschlagskriterien

Nach § 127 Abs. 1 Satz 1 GWB wird der Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot erteilt. Dieses bestimmt sich regelmäßig nach dem besten Preis-Leistungs-Verhältnis, zu dessen Ermittlung neben dem Preis oder den Kosten auch qualitative, umweltbezogene oder soziale Aspekte berücksichtigt werden können (§ 127 Abs. 1 Satz 3 und 4 GWB). Die sind z.B. Aspekte wie die Zugänglichkeit der Leistung für Menschen mit Behinderungen, die Übereinstimmung mit Anforderungen des „Design for All“, aber auch soziale, umweltbezogene und innovative Eigenschaften sowie Vertriebs- und Handelsbedingungen. Insoweit kann ein öffentlicher Auftraggeber von Bietern die Vorlage von bestimmten Nachweisen über die Erfüllung von Sozial- oder Umweltstandards fordern oder die Art der Umsetzung von entsprechenden Anforderungen anhand von durch die Bieter einzureichenden Konzepten bewerten.
Soziale und ökologische Aspekte können insbesondere auch in der von dem öffentlichen Auftraggeber zu erstellenden Leistungsbeschreibung berücksichtigt werden, die den Vertragsgegenstand konkretisiert. Hierbei können nach § 58 Abs. 3 VgV insbesondere die Produktion, die Erbringung der Dienstleistung, der Lebenszyklus oder die Produktions- und Lieferketten bestimmt werden. Der öffentliche Auftraggeber kann sich die in der Leistungsbeschreibung geforderten Eigenschaften durch Zertifikate von Konformitätsbewertungsstellen oder durch Gütezeichen nachweisen lassen (z.B. Energieverbrauch, Energieeffizienz, CO2-Abdruck). Die entsprechenden Aspekte können dann als Bewertungs- oder Ausschlusskriterien definiert werden, wobei erste dann wiederum indirekt in die Wirtschaftlichkeitsbewertung nach § 127 Abs. 1 GWB einbezogen werden. Sofern soziale oder ökologische Anforderungen hingegen als Ausschlusskriterien ausgestaltet werden, führt deren Nichterfüllung dazu, dass das eingereichte Angebot vom Wettbewerb ausgeschlossen wird.

Bedingungen an die Auftragsausführung

In § 128 Abs. 1 GWB wird geregelt, dass bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags die geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten sind. Dazu zählen insbesondere die Entrichtung von Steuern, Abgaben und Beiträgen zur Sozialversicherung, die Einhaltung von arbeitsschutzrechtlichen Regelungen sowie die Gewährung derjenigen Mindestarbeitsbedingungen, die etwa nach dem Mindestlohngesetz oder einem allgemein verbindlichen Tarifvertrag für die betreffende Leistung vorgegeben werden. Entsprechende Regelungen zur Einhaltung des Mindestlohns oder von Tarifverträgen finden sich zusätzlich insbesondere in den einzelnen Vergabegesetzen der Bundesländer.

Darüber hinaus können öffentliche Auftraggeber nach § 128 Abs. 2 GWB besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags festlegen, die wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange umfassen, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung stehen. Soziale Belange können dabei auch Tariftreueverpflichtungen oder Verpflichtungen zur Zahlung tarifvertragsunabhängiger Mindestlöhne betreffen.

Eignungskriterien

Bei öffentlichen Aufträgen ist immer häufiger festzustellen, dass im Rahmen der unternehmensbezogenen Eignungsanforderungen i.S.d. § 122 Abs. 2 GWB, § 42 Abs. 1 VgV eine Zertifizierung gem. DIN ISO 14001 – Umweltmanagement vorgelegt oder das Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüberwachungssystem, das dem Unternehmen zur Vertragserfüllung zur Verfügung stehen wird, von den Bietern dargestellt werden muss. 

Entwicklung der Nachhaltigkeitsaspekte im Vergaberecht

Bereits im Koalitionsvertrag 2021 – 2025 der aktuellen Bundesregierung („Mehr Fortschritt wagen - Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“) wurde das sog. Vergabetransformationspaket mit dem Ziel der Vereinfachung, Professionalisierung, Digitalisierung und Beschleunigung der Vergabeverfahren festgeschrieben. Damit soll die öffentliche Beschaffung und Vergabe wirtschaftlicher, sozialer, ökologischer und innovativer ausgerichtet werden. Hierzu hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) im Dezember 2022 eine öffentliche Konsultation zur Modernisierung des Vergaberechts gestartet. Das BMWK hat fünf Handlungsfelder identifiziert, zu denen Anmerkungen im Rahmen des Konsultationsprozesses eingereicht werden konnten: (1) Stärkung der umwelt- und klimafreundlichen Beschaffung, (2) Stärkung der sozial nachhaltigen Beschaffung, (3) Digitalisierung der Beschaffung, (4) Vereinfachung und Beschleunigung von Vergabeverfahren und (5) Förderung von KMU, Start-ups und Innovationen. Insoweit ist bereits jetzt absehbar, dass soziale und ökologische Standards in Zukunft eine noch größere Rolle spielen werden.

Leitfäden zur umweltfreundlichen Beschaffung des Umweltbundesamtes

Um die Nachhaltigkeitsaspekte im öffentlichen Beschaffungswesen zu fördern, veröffentlicht das Umweltbundesamt regelmäßig Leitfäden zur umweltfreundlichen Beschaffung für verschiedene Produkte. Die aktuelle Produktpalette umfasst 28 verschiedene Produktgruppen und reicht von „System-Stoffhandtuchrollen in Stoffhandtuchspendern“ über „Omnibusse“ bis hin zu „Baumaschinen“. Andere Leitlinien befassen sich mit IT-Produkten wie „Handys, Smartphones und Tablets“, „Bürogeräte mit Druckfunktion (Drucker und Multifunktionsgeräte)“ aber auch „Server und Datenspeicherprodukte“. Auch wenn die Richtlinien in erster Linie Empfehlungen zu Anforderungen an die Nachhaltigkeit des Auftragsgegenstandes und der Auftragsausführung beinhalten (Gütesiegel, Zertifikate oder Zertifizierungen einer Konformitätsbewertungsstelle wie Blauer Engel oder Energy Star), ist aufgrund der aktuellen Entwicklung davon auszugehen, dass öffentliche Auftraggeber diese Empfehlungen bei der Festlegung von Nachhaltigkeitskriterien verstärkt heranziehen werden. Daher wird es umso wichtiger, dass Unternehmen, die erfolgreich Geschäfte mit der öffentlichen Hand machen wollen, sich frühzeitig über die geltenden Anforderungen und Standards informieren und die Vorgaben entsprechend umsetzen. 

Schlussfolgerung

Nicht zuletzt aufgrund der öffentlichen Konsultation zur Modernisierung des Vergaberechts durch das BMWK werden soziale und ökologische Aspekte immer stärker über das Vergaberecht in den Markt gebracht. Eine dezidierte Auseinandersetzung mit den einzelnen potenziellen Anforderungen, Zertifizierungen und Nachweisen, insbesondere in den unterschiedlichen Industriezweigen, ist bereits jetzt sinnvoll. In laufenden Vergabeverfahren ist eine rechtzeitige Erfüllung oder gar Zertifizierung von umweltbezogenen oder sozialen Standards in der Regel nicht mehr möglich.

Durch entsprechende Prüfungen und Zertifizierungen im Vorfeld von Ausschreibungen können Unternehmen zum einen ESG-Themen für das eigene Unternehmen implementieren und gleichzeitig die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen erfüllen.

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