Ausflug zur Pariser Fashion Week - Freizeitgestaltung von Arbeitnehmer:innen und das Weisungsrecht des Arbeitgebers

Der Offensivspieler Serge Gnabry nutzte die ihm – zwischen zwei Bundesligaspielen – zugestandene Freizeit für einen Kurztrip in die französische Hauptstadt, um die Pariser Fashion Week zu besuchen. Diese Wahl der Freizeitgestaltung stieß bei seinem Arbeitgeber auf wenig Gegenliebe, sodass er sich fragt: Inwieweit darf ein Arbeitgeber in die Freizeitgestaltung seiner Arbeitnehmer:innen eingreifen?

Profisportler:innen im Mannschaftsport sind – trotz oft sehr hohen Gehältern und Sonderstellungen – in aller Regel Arbeitnehmer:innen. Insoweit finden auch hier die Grundsätze des Arbeitsrechts Anwendung.

Ausgangspunkt: Weisungsrecht des Arbeitgebers?

Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Das gesetzliche Weisungsrecht bezieht sich folglich nur die auf die Art und Weise der Tätigkeit des Arbeitnehmers/ der Arbeitnehmerin im Betrieb des Arbeitgebers. Im Sinne einer effektiven Durchsetzung erstreckt das Bundesarbeitsgericht (BAG) das Weisungsrecht u.a. auch auf sog. leistungssichernde Neben- oder Verhaltenspflichten. Diese Pflichten befassen sich zwar nicht unmittelbar mit der eigentlichen Tätigkeit, weisen aber einen engen Bezug zu dieser auf. Zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebsablaufs muss sich das Weisungsrecht des Arbeitgebers auch darauf beziehen. Das Weisungsrecht des Arbeitgebers findet seine Grenze also dann, wenn und soweit keinerlei Bezug zum Betrieb des Arbeitgebers besteht. Der Arbeitgeber hat mithin kein Recht, festzulegen, wie der Arbeitnehmer/ die Arbeitnehmerin sein/ ihr Privatleben zu führen hat.

Gleichwohl gibt es Bereiche, die sich weder gänzlich dem Betrieb des Arbeitgebers noch der privaten Lebensführung des Arbeitnehmers/ der Arbeitnehmerin zuordnen lassen. Ob und inwieweit der Arbeitgeber in diese Bereiche auch mit Wirkung für die private Lebensführung des Arbeitnehmers/ der Arbeitnehmerin eingreifen kann, bestimmt sich nach der Stellung des Arbeitnehmers/ der Arbeitnehmerin im Betrieb und nach den betrieblichen Notwendigkeiten. Zudem besteht die Möglichkeit, das Weisungsrecht durch vertragliche Vereinbarungen zu „erweitern“. Die Wirksamkeit eines solchen erweiterten Weisungsrechts unterliegt allerdings immer einer weitergehenden Angemessenheitsprüfung (Inhaltskontrolle, §§ 307 ff. BGB). Beispielsweise wird man in Arbeitsverträgen von Profisportler:innen oft die Untersagung oder Einschränkung der Ausübung von gefahrgeneigten Hobbies/Sportarten wiederfinden.

Fallbeispiel: Erreichbarkeit des Arbeitnehmers außerhalb der Arbeitszeit – LAG Schleswig-Holstein 

Urteil v. 27.09.2022 – 1 Sa 39 öD/22

Vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein ging es im letzten Jahr um die Frage, inwieweit der Arbeitgeber befugt ist, des Arbeitnehmers/ der Arbeitnehmerins Weisungen zum Beginn seiner/ ihrer Arbeitszeit während der Freizeit des Arbeitnehmers/ der Arbeitnehmerin zu erteilen. Konkret wollte der Arbeitgeber hier mittels SMS- und E-Mail-Kontaktaufnahme den Arbeitnehmer anweisen, seine Tätigkeit früher als zunächst vereinbart aufzunehmen (Dienstplanänderung). Auf diese Kontaktaufnahme erfolgte keine Reaktion des Arbeitnehmers. Vielmehr meldete sich dieser erst zur ursprünglich vereinbarten Uhrzeit zum Dienst. Daraufhin zog der Arbeitgeber die entsprechende Zeit vom Arbeitszeitkonto ab und erteilte dem Arbeitnehmer eine Abmahnung. Hiergegen wehrte sich der Arbeitnehmer.

Das LAG Schleswig-Holstein entschied, dass Mitarbeiter:innen nicht verpflichtet seien, sich in ihrer Freizeit zu erkundigen, ob ihr Dienstplan geändert worden sei. Er/ sie sei auch nicht verpflichtet, eine Mitteilung des Arbeitgebers – etwa per Telefon – entgegenzunehmen oder eine SMS zu lesen. Nimmt er/ sie eine Information über eine Dienstplanänderung nicht zur Kenntnis, gehe ihm/ ihr diese erst bei Dienstbeginn zu. Trotz des Umstands, dass in dieser Konstellation auch Interessen des Arbeitgebers betroffen sind, überwog hier also – unter Einbeziehung der Stellung der Arbeitnehmer:innen im Betrieb und nach den betrieblichen Notwendigkeiten – das Interesse der Arbeitnehmer an einer ungestörten Freizeitgestaltung.
Der LAG-Entscheid ist noch nicht rechtskräftig und beim BAG anhängig ist.

Besonderheiten des professionellen Sports

Anders kann es – wie schon angedeutet – etwa mit Blick auf ein Arbeitsverhältnis des professionellen Sports aussehen. Hier wird man unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Profisports und der speziellen Anforderungen an Hochleistungssportler:innen weitergehende Einschränkungen der privaten Lebensführung (z.B. Untersagung oder Einschränkung der Ausübung von gefahrgeneigten Hobbies/Sportarten) für zulässig halten können. Rechtfertigen lassen sich solche weitergehenden Einschränkungen mit Erwägungen wie z.B. der geringeren Vertragslaufzeit von Profisportler:innen, stärkerer Auswirkungen von längeren Ausfällen und der überragenden Bedeutung der konstanten Leistungsfähigkeit der angestellten Sportler:innen.

Trotzdem gibt es auch hier Grenzen. Besuche der Pariser Fashion Week innerhalb der Freizeit sind zulässig. Dafür spricht auch, dass Gnabry keine arbeitgeberseitige Sanktion erhalten hat, sondern nur zum „Rapport“ antreten musste. Unabhängig davon muss der Profisportler etwaige sportliche Entscheidungen seines Trainers hinnehmen.
Letztlich ist es immer eine Frage des konkreten Einzelfalls, bis zu welchem Punkt ein, die private Lebensführung tangierender Eingriff zulässig bleibt; es sei denn, der betreffende Sachverhalt weist überhaupt keinen Bezug zum Betrieb des Arbeitgebers auf.

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