Wie geht es weiter mit dem Datenschutz für Internet- und Telekommunikationsunternehmen?
Ein Kommentar von Dr. Simon Assion
Eigentlich hätte das deutsche Internet- und Telekommunikationsdatenschutzrecht schon vor über einem Jahr reformiert werden müssen. Damals trat die DSGVO in Kraft, und die vorrangige EU-Grundverordnung verdrängt seitdem die deutschen Gesetze – auch dann, wenn sie nicht formal aufgehoben worden sind. Dies gilt überall dort, wo die deutschen Gesetze entweder der DSGVO widersprechen oder von deren „Vollharmonisierungswirkung“ verdrängt werden. Festzustellen, wo und wie dies genau der Fall ist, ist außerordentlich kompliziert, weil bei dieser Prüfung auch noch die gleichzeitig geltende EU-ePrivacy-Richtlinie und die „Öffnungsklauseln“ der DSGVO einbezogen werden müssen. Die Folge ist erhebliche Rechtsunsicherheit bei der Datenverarbeitung durch Internet- und Telekommunikationsunternehmen. In dieser Hinsicht gibt es aber nun zwei wichtige neue Entwicklungen.
Es geht voran mit TMG, TKG und ePrivacy-Verordnung
Zum einen hat das deutsche Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) auf Twitter verkündet, es solle nun „zeitnah“ eine Anpassung des TMG und des TKG an die DSGVO erfolgen; allerdings solle vorher noch das Urteil des EuGH i.S. „Planet49“ abgewartet werden. In diesem Verfahren geht es um die Umsetzung der „Cookie“-Regelung von Art. 5 Abs. 3 der ePrivacy-Richtlinie in Deutschland; das Urteil soll am 1. Oktober verkündet werden.
Und zum anderen hat am 26. Juli die EU-Ratspräsidentschaft eine neue Fassung des Entwurfs der neuen ePrivacy-Verordnung vorgelegt. Diese Verordnung wird derzeit im EU-Ministerrat verhandelt; wenn sie in Kraft tritt würde sie weitgehend an die Stelle der derzeitigen Datenschutzregelungen im TMG und TKG treten. Außerdem würde der Entwurf auch die Regelung zur Zulässigkeit von Direktmarketing ersetzen, die sich derzeit in § 7 des UWG findet.
Die neue Fassung des Entwurfs der ePrivacy-Verordnung zeigt, dass der EU-Ministerrat mit seinen Verhandlungen mittlerweile recht weit vorangekommen ist. Viele Detailprobleme, die in früheren Entwürfen noch enthalten waren, sind nun beseitigt.
Auch wenn derzeit offenbar die deutsche Bundesregierung mit dieser Entwurfsfassung nicht einverstanden ist (siehe BT-Drs. 19/11351, S. 6), erscheint es nun im Bereich des Möglichen, dass der Rat seine Verhandlungen zeitnah abschließen kann. Im Anschluss würde es dann zu den obligatorischen Trilog-Verhandlungen zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und EU-Ministerrat kommen, bevor der Verordnungsentwurf endgültig verabschiedet werden kann. Ab diesem Zeitpunkt wäre die ePrivacy-Verordnung dann zwar in Kraft getreten, sie wäre allerdings noch nicht wirksam. Denn ab Inkrafttreten wird die Verordnung dann einen Umsetzungszeitraum von voraussichtlich zwei weiteren Jahren vorsehen, bevor sie wirksam wird.
Einige Überlegungen zum „Fahrplan“ für das Datenschutzrecht im IKT-Sektor
Wie sich die Gesetzgebungsverfahren in Deutschland und Brüssel nun weiter entwickeln werden, ist offen. Wenn man aber (hypothetisch) unterstellt, dass nun sowohl der deutsche als auch der EU-Gesetzgeber ihre Verfahren nun zügig vorantreiben, steht dem Datenschutzrecht für die Internet- und Telekommunikationsbranche ungefähr der folgende „Zeitstrahl“ bevor:
- Aktuell: TMG und TKG sind ihrem Wortlaut nach unverändert, werden aber durch die DSGVO teils verdrängt und sind deshalb in vielen Fällen nicht anwendbar.
- Voraussichtlich Ende 2019/Anfang 2020 („zeitnah“): Änderung von TMG und TKG. Der deutsche Gesetzgeber wird voraussichtlich alle Regelungen, die von der DSGVO verdrängt wurden, aufheben oder anpassen.
- Frühestens Anfang 2020 (evtl. später): Verabschiedung der ePrivacy-VO, Beginn der Anpassungsfrist (von voraussichtlich zwei Jahren, evtl. auch nur einem Jahr). Demzufolge:
- Voraussichtlich Anfang 2022 (evtl. früher oder später): Wirksamwerden der ePrivacy-Verordnung. Wahrscheinlich wird der deutsche Gesetzgeber gleichzeitig mit dem Inkrafttreten der ePrivacy-Verordnung im TMG und TKG die restlichen Regelungen zum Datenschutz und Fernmeldegeheimnis aufheben.
Die ePrivacy-Verordnung wird die Regelungen zum Datenschutz im Internet, zum Fernmeldegeheimnis und zum Telekommunikations-Datenschutz abwandeln und zusätzlich eine Reihe von neuen Regelungen einführen. Die Regelungen zur Verarbeitung von übertragenen Inhalten sowie Verkehrsdaten werden dabei nicht nur stark überarbeitet, sondern sollen dann auch für viele zusätzliche Adressaten gelten. Insbesondere müssen (spätestens) dann auch Online-Kommunikationsdienste das Fernmeldegeheimnis und den Telekommunikationsdatenschutz beachten. Dies betriff beispielsweise Messaging-Apps und Social Media-Angebote, wenn darüber „Private Messages“ verschickt werden können.
Außerdem wird die Verordnung voraussichtlich neue Regelungen zum „Zugriff“ auf Daten in Endgeräten und für Privatsphäre-Einstellungen von Browser-Software und Apps enthalten.
OVG Münster: Telekom darf StreamOn in aktueller Form nicht weiter betreiben
Ein Kommentar von Holger Niedenführ
Das OVG Münster hat in seinem am 15.07.2019 veröffentlichten Beschluss Teile des „StreamOn“ Angebots der Deutschen Telekom für rechtswidrig erklärt und damit die erstinstanzliche Entscheidung des VG Kölns bestätigt, Az.: 13 B 1734/18 (I. Instanz: VG Köln 1 L 253/18). Im Ergebnis gibt das OVG Münster damit auch der Bundesnetzagentur Recht, die der Telekom das Angebot von „StreamOn“ in dieser Form untersagt hatte.
Hintergrund der Entscheidung
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2017 hatte die BNetzA der Deutschen Telekom die Fortführung des „StreamOn“-Angebots in seiner konkreten Ausgestaltung untersagt. Hiergegen suchte die Deutsche Telekom Eilrechtsschutz vor dem VG Köln. Im November 2018 hatte das Verwaltungsgericht dann den Eilantrag der Telekom abgelehnt. Mit dem Beschluss vom 12. Juli 2019 hat der 13. Senat des Oberverwaltungsgerichts des Landes Nordrhein-Westfalen nun auch die hiergegen gerichtete Beschwerde der Telekom zurückgewiesen.
Inhalt des „StreamOn“ – Angebots
Bei „StreamOn“ handelt es sich um ein kostenloses Zusatzangebot für Mobilfunk-Kunden der Deutschen Telekom. Bei Buchung des Zusatzangebots wird der Datenverkehr für Audio- und Videostreaming sogenannter „Content-Partner“ der Telekom nicht auf das jeweilige mit dem Mobilfunktarif vertraglich vereinbarte Inklusivdatenvolumen für die Nutzung der per Mobilfunk bereitgestellten Internetverbindung angerechnet (sog. „Zero Rating“). Der Kunde willigt allerdings für bestimmte Mobilfunktarife in eine generelle Begrenzung der Bandbreite für Videostreaming auf maximal 1,7 Mbit/s ein. Diese Bandbreite genügt nicht mehr für eine Auflösung in HD-Qualität. Die Nutzung von „StreamOn“ ist außerdem nur innerhalb Deutschlands vorgesehen. Im Ausland wird der Datenverkehr für Audio- und Videostreaming immer auf das jeweilige Inklusivdatenvolumen angerechnet.
Rechtliche Würdigung
Das OVG bestätigt die Entscheidung des VG Kölns, nach dem das „StreamOn“ – Angebot sowohl gegen Art. 3 Abs.3 UAbs.1 VO (EU) 2015/2120 (im Folgenden „TSM-VO“) als auch gegen Art. 6a VO (EU) (im Folgenden „Roaming-VO“) verstößt.
Verstoß gegen Art. 3 Abs.3 UAbs.1 TSM-VO
Zur Begründung des Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 3 UAbs. 1 TSM-VO führt das OVG Münster aus, der Grundsatz der Netzneutralität verpflichte die Anbieter von Internetzugangsdiensten zur Gleichbehandlung allen Datenverkehrs. Hiergegen verstoße die Telekom, wenn sie die Übertragungsgeschwindigkeit für Videostreaming gegenüber anderen Diensten oder Anwendungen gezielt drossele. Da der Grundsatz der Neutralität ein grundlegendes Funktionsprinzip des Internets zugunsten sämtlicher Nutzer schütze, sei es auch unerheblich, ob der Kunde mit der Buchung von "StreamOn" in die Drosselung eingewilligt habe.
Verstoß gegen Art. 6a Roaming-VO
Das OVG legt dar, dass es nach Art. 6a der EU-Roaming-VO verboten sei, für Roaming-Dienste im europäischen Ausland ein zusätzliches Entgelt gegenüber dem inländischen Endkundenpreis zu verlangen. Die Telekom verletze dieses Verbot, soweit sie den Datenverkehr für Audio- und Videostreaming bei Nutzung im europäischen Ausland abweichend zu einer Nutzung im Inland auf das Inklusivdatenvolumen anrechne, denn für den Kunden bestehe damit bei Nutzung im europäischen Ausland im Ergebnis ein ungünstigerer Entgeltmechanismus. Zwar müsse der Kunde im Ausland kein unmittelbar höheres Entgelt entrichten, er erhalte aber für dasselbe Entgelt eine geringere Leistung.
Bewertung und Ausblick
Das OVG schließt sich in seiner Entscheidung im Wesentlichen den Ansichten und Argumenten der Vorinstanz an. Ebenso wie die BNetzA und das VG Köln sieht sie in dem „StreamOn“ Angebot der Telekom einen Verstoß gegen die TSM-VO und die Roaming-VO. Insbesondere mit dem Verstoß des Angebots gegen die in Art.3 Abs. 1 UAbs. 1 TSM-VO normierten Verpflichtung zur Gleichbehandlung allen Datenverkehrs und setzt sich das OVG ausführlich auseinander. Die einzelnen Gegenargumente der Telekom lehnt das OVG unter Bezugnahme auf den Wortlaut, Telos, Systematik und die Entstehungsgeschichte beider Normen ab.
Auffällig ist, dass das OVG – im Gegensatz zur Vorinstanz – ausdrücklich und wiederholt auf die durch das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) veröffentlichten Leitlinien Bezug nimmt, auf die sich die BNetzA in dem Verfahren ergänzend berufen hatte (hierzu auch Assion, MMR 2019, 197, 203). Die Leitlinien der GEREK enthalten in Bezug auf einige der in dem vorliegenden Verfahren umstrittenen Tatbestandsmerkmale detaillierte Vorgaben. Zutreffend führt das OVG hierzu aus, dass die Leitlinien der GEREK das Gericht bei der Auslegung der TSM-VO zwar nicht binden sollen, aber dennoch zur Auslegung der Verordnung herangezogen werden könnten. Ziel der Leitlinien sei es schließlich, eine möglichst einheitliche Anwendung der TSM-VO durch die nationalen Regulierungsbehörden zu erreichen.
Aus den in der Entscheidung des OVG ausgeführten Gründen ist der Bescheid der BNetzA, welcher der Telekom untersagt, „StreamOn“ in der oben beschriebenen Form anzubieten, trotz des separat laufenden Hauptsacheverfahrens sofort vollziehbar.
Die Telekom ließ verlauten, dass sie erwarte, dass die BNetzA ihr die erforderlichen Anpassungen durch eine angemessene Umsetzungsfrist ermöglichen werde. Das Unternehmen sei weiterhin von der Rechtmäßigkeit von StreamOn überzeugt und werde auch zukünftig alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen. StreamOn solle den Kunden weiter und ohne Aufpreis angeboten werden. Ein Sprecher der BNetzA kündigte hingegen nach Veröffentlichung des Beschlusses an, die Anpassung des Produkts nun zügig gegenüber der Telekom durchzusetzen.