Keine Gutschrift von Urlaubstagen bei angeordneter Covid-19-Quarantäne

Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (LAG Düsseldorf) gesteht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern keine Nachgewährung von Urlaubstagen bei einer vom Gesundheitsamt verhängten Quarantäne während des Urlaubs zu. Urlaubstage sind nur dann zurück zu gewähren, wenn tatsächlich eine ärztlich bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vorliegt.

LAG Düsseldorf, Urteil vom 15. Oktober 2021 –Aktenzeichen 7 Sa 857/21

Nichtanrechnung von Urlaubstagen erfordert eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Die Klägerin war in der Zeit vom 10. Dezember bis zum 31. Dezember 2020 im bewilligten Jahresurlaub. Das Gesundheitsamt ordnete, nachdem die Klägerin Kontakt mit ihrer an COVID-19 infizierten Tochter hatte, bis zum 16. Dezember 2020 eine häusliche Quarantäne an. Bei einer am 16. Dezember 2020 durchgeführten Testung wurde sie ebenfalls positiv auf COVID-19 getestet. Daraufhin ordnete das Gesundheitsamt mit Bescheid vom 17. Dezember 2020 häusliche Quarantäne für den Zeitraum vom 6. Dezember bis zum 23. Dezember 2020 an. In der behördlichen Isolierungsanordnung wurde darauf hingewiesen, dass die Klägerin als „Kranke“ im Sinne des § 2 Nr. 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG) betrachtet wird. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung durch einen Arzt wurde nicht ausgestellt.

Die Klägerin verlangte nun von ihrem Arbeitgeber, dass dieser ihr Urlaubstage vom 10. Dezember bis zum 23. Dezember 2020 zurückgewähren müsse, da diese Urlaubstage aufgrund der angeordneten Quarantäne nicht verbraucht seien. Die Arbeitgeberin lehnte eine Nachgewährung ab, da sie diese aus ihrer Sicht ordnungsgemäß erfüllt habe. Der zuständige Landschaftsverband lehne in solchen Fällen einen Erstattungsantrag für Verdienstausfälle ab, da durch den genehmigten Urlaub kein Verdienstausfall entstehe und das IfSG nur dann eine Erstattungspflicht vorsähe.

Differenzierung zwischen Erkrankung und darauf beruhender Arbeitsunfähigkeit

Das LAG Düsseldorf hat, der Vorinstanz folgend, die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen des § 9 Bundesurlaubgesetz (BurlG) seien vorliegend nicht gegeben, denn § 9 BurlG sehe nur dann eine Nichtanrechnung auf Urlaubstage vor, wenn „durch ärztliches Zeugnis“ nachgewiesen sei, dass eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Die gesetzliche Regelung des § 9 BUrlG grenze insofern klar zwischen Erkrankung und der darauf basierenden Arbeitsunfähigkeit ab, sodass eine Gleichsetzung der Begriffe nicht vorgesehen sei. Für eine Nichtanrechnung von Urlaubstagen ist es folglich zwingend erforderlich, dass eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorliegt.

Der Bescheid des Gesundheitsamts erfülle diese Voraussetzungen nicht. Er gebe lediglich wieder, dass die Klägerin an COVID-19 erkrankt sei. Ob sich basierend darauf auch eine Arbeitsunfähigkeit ergebe, bleibt offen und muss durch einen Arzt festgestellt werden. Eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG scheide daher mangels Vorliegens einer vergleichbaren Sachlage und einer planwidrigen Regelungslücke aus. Die Norm stellt eine eng begrenzte Ausnahmevorschrift dar, nach welcher nur im Falle einer Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, eine Änderung der Risikozuweisung zulasten des Arbeitgebers vorgenommen werden kann. Urlaubsstörende Ereignisse fallen demnach in den persönlichen Lebensbereich und sind daher dem Risiko des Arbeitnehmers zuzurechnen. Bei einer Erkrankung mit COVID-19, die beispielsweise symptomfrei verläuft, kann nicht automatisch von einer Arbeitsunfähigkeit ausgegangen werden. Somit liegt bei einer COVID-19-Infektion keine generelle Sachlage vor, die eine Analogie zu § 9 BUrlG rechtfertigen könnte.

Klare Tendenz der Arbeitsgerichte

In einem ähnlich gelagerten Fall hat auch das Arbeitsgericht Bonn (ArbG Bonn, Urteil vom 07.07.2021 – 2 Ca 504/21) einem klagenden Arbeitnehmer, welchem während seines Urlaubs aufgrund einer COVID-19-Infektion häusliche Quarantäne angeordnet wurde, keine Urlaubstage zurückgewährt. Eine behördliche Quarantäneanordnung ersetze keine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Als Begründung wurde hier auch auf die Änderung der Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie verwiesen, nach der seit dem 15. Oktober 2020 (aktuell befristet bis 31. Dezember 2021) die Ausstellung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung telefonisch möglich sei. Damit sei es Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zuzumuten die Arbeitsunfähigkeit auch bei häuslicher Quarantäne durch einen Arzt beurteilen zu lassen.

So hat auch das Arbeitsgericht Neumünster (ArbG Neumünster, Urteil vom 03.08.2021 – 3 Ca 362 b/21) entschieden: ein Arbeitnehmer klagte auf Nachgewährung von Urlaub, in welchem er sich als nicht selbst infizierte Kontaktperson in Quarantäne begeben musste. Das ArbG Neumünster hat auch hier eine analoge Anwendung des § 9 BUrlG bei einer behördlichen Quarantäneanordnung abgelehnt. Der Gesetzgeber habe die Differenzierung zwischen Krankheit und seuchenbezogenem Risiko gesehen. Zur Zeit der Entstehung des BUrlG galt bereits das Bundesseuchengesetz. Eine klare Grenzziehung zwischen den Ursachen einer Urlaubsstörung kann nur dann sachgerecht vorgenommen werden, wenn § 9 BUrlG als Ausnahmevorschrift eng auslegt werde. In dem auf die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers abgestellt wird, wird das Risiko für Urlaubsstörungen klar und nachvollziehbar verteilt.

Bei allen hier angeführten Entscheidungen wurden Rechtsmittel zugelassen, sodass abzuwarten bleibt, zu welchen Ergebnissen andere Landesarbeitsgerichte, bzw. das Bundesarbeitsgericht kommen. Eine allzu große Überraschung erscheint allerdings eher unwahrscheinlich. Die klare Tendenz der Arbeitsgerichte bei Urlaubsansprüchen in Kombination mit Quarantäneanordnung zeichnet sich bereits jetzt ab und macht deutlich, dass ohne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine Rückgewährung des Urlaubsanspruchs besteht.

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