Mutterschutz: Zwangspause auch für eine Richterin und Ausblick auf neue Gesetzgebung

Hintergrund

Nach dem Mutterschutzgesetz  (MuSchG) dürfen Arbeitnehmerinnen in den letzten sechs Wochen vor dem mutmaßlichen Entbindungstermin nicht mehr beschäftigt werden. Der werdenden Mutter steht es frei, in diesen sechs Wochen zu arbeiten. Ihre diesbezügliche Einwilligung ist jederzeit frei widerruflich.

Für die Zeit nach der Entbindung beträgt die Schutzfrist acht Wochen; im Falle von Mehrlingsgeburten zwölf Wochen und bei Frühgeburten mindestens zwölf Wochen. Für den Fall des Kindstodes kann die Mutter auf ihr ausdrückliches Verlangen hin die jeweilige Schutzfrist verkürzen und früher zu ihrer Arbeit zurückkehren, jedoch nicht vor Ablauf einer Mindestschutzfrist von zwei Wochen.

Der Bundesgerichtshof für Strafsachen bestätigt die ständige Rechtsprechung der Arbeitsgerichtsbarkeit, wonach es sich bei den Schutzfristen nach der Entbindung um absolute Beschäftigungsverbote handelt und diese auch für die Mutter nicht disponibel sind.

BGH-Entscheidung: Schutzfristen gelten auch für eine Richterin

In seiner Entscheidung (Urt. v. 07.11.2016, Az. 2 StR 9/15) beschäftigte sich der BGH als Revisionsinstanz mit einem Urteil des LG Darmstadt (Urt. v. 11.04.2014, 670 Js 24 600/09 – 9 KLs – Ss 2/15). An der Entscheidung des LG Darmstadt wirkte eine Richterin mit, die zu früh nach Beendigung ihrer Schwangerschaft wieder an den Verhandlungen teilnahm. Der BGH hielt das Gericht für nicht ordnungsgemäß besetzt und hob das beanstandete Urteil in der Folge auf.

Das fragliche Strafverfahren vor der großen Strafkammer (drei Berufsrichter, zwei Schöffen) des LG Darmstadt zog sich über einen längeren Zeitraum hin. Sowohl an der Hauptverhandlung als auch an dem späteren Urteil wirkte eine Berufsrichterin mit, die im Laufe der Hauptverhandlung schwanger wurde. Nach einer exakt zweiwöchigen Unterbrechung des Verfahrens wurde im Fortsetzungstermin offenbar, dass die Schwangerschaft in der Zwischenzeit beendet worden war. Genauere Angaben zu dem Verlauf der Schwangerschaft wurden durch das Gericht auf Nachfrage der Verteidigung nicht erteilt, jedoch ergab sich bereits aus dem zeitlichen Ablauf, dass jede einzelne der denkbaren Schutzfristen des § 6 MuSchG zwingend betroffen sein musste.
In der Folge erhob die Verteidigung des Angeklagten einen Besetzungseinwand mit der Begründung, dass die Richterin während der laufenden Schutzfrist noch nicht wieder arbeiten dürfe und dass das Gericht während des Fortsetzungstermins deshalb nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, also das Recht des Angeklagten auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs.1 S.2 Grundgesetz verletzt sei.
Die große Strafkammer am LG wies diesen Einwand jedoch durch Beschluss zurück und erklärte, bei § 6 MuSchG handele es sich nicht um eine Regelung über die Besetzung des Gerichts, da es der betroffenen Richterin aufgrund ihrer richterlichen Unabhängigkeit freistehen müsse, auch vor Ablauf der jeweils einschlägigen Schutzfrist ihr Richteramt auszuüben.

Der BGH sah dies nun anderes. Die Einhaltung der Schutzfristen aus § 6 MuSchG (auf den vorliegenden Fall der Richterin anwendbar aufgrund landesrechtlicher Überleitungsvorschriften) habe nicht zur Disposition der Richterin gestanden. Das Gericht war folglich während des Fortsetzungstermins fehlerhaft besetzt, was einen absoluten Revisionsgrund gemäß § 338 Nr. 1 StPO darstellt. Ein solcher führt in der Revisionsverhandlung stets zu einer Aufhebung des angegriffenen Urteils.

Der BGH begründete seine Entscheidung u.a. mit dem Sinn und Zweck der zwingenden Schutzfristen. Diese sollen gerade einen etwaigen Entscheidungsdruck von der Mutter nehmen, früh(er) wieder zur Arbeitsstelle zurückzukehren. Ein solcher Entscheidungsdruck kann auch auf einer Richterin lasten.

In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass zu dem Verfahren vor dem LG kein sogenannter Ergänzungsrichter hinzugezogen worden war. Ein Ergänzungsrichter wohnt längeren Prozessen (wie diesem) von Anfang an bei, um im Falle der längeren Verhinderung eines Richters dessen Vertretung zu übernehmen. Da ein solcher Ergänzungsrichter hier nicht bereitstand, wäre bei Einhaltung der Schutzfrist durch die Richterin das Verfahren womöglich derart lange unterbrochen worden, dass es komplett zu wiederholen gewesen wäre. Dass aus dieser Gefahr ein gewisser Entscheidungsdruck für die betreffende Richterin erwachsen kann, vorzeitig die Arbeit wieder aufzunehmen, erscheint naheliegend.

Ausblick: Geplante Neufassung des Mutterschutzgesetzes

Die Bundesregierung plant aktuell eine Neuregelung des Mutterschutzrechts bereits zum 01.01.2017 und hat dem Bundesrat zu diesem Zweck einen Gesetzesentwurf zugeleitet (BR-Drs. 360/16).

Im Anschluss an die „Danosa“-Entscheidung des EuGH (Urt. v. 11.11.2010, C-232/09) soll das Mutterschutzgesetz demnach zukünftig auch für Frauen gelten, die zwar dem Grundsatz nach selbstständig erwerbstätig, tatsächlich aber wirtschaftlich unselbstständig und insoweit als arbeitnehmerähnlich anzusehen sind (im Fall handelte es sich um eine schwangere Geschäftsführerin einer lettischen Gesellschaft). Außerdem sollen vom persönlichen Anwendungsbereich auch Schülerinnen und Studentinnen umfasst werden.

Nach dem Regierungsentwurf fallen Frauen, die tatsächlich wirtschaftlich selbstständig sind, nicht in den Anwendungsbereich des MuSchG. Allerdings haben die Mitgliedstaaten nach der EU-Richtlinie 2010/41/EU vom 07.07.2010 die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um auch selbstständig erwerbstätigen Frauen durch ausreichende Mutterschaftsleistungen eine schwangerschafts- bzw. mutterschaftsbedingte Unterbrechung ihrer Erwerbstätigkeit für mindestens 14 Wochen zu ermöglichen. Die Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie in innerstaatliches Recht hat der deutsche Gesetzgeber ergebnislos verstreichen lassen und scheint auch nach den geplanten Änderungen des MuSchG die Forderungen der Richtlinie nicht vollständig umzusetzen. Daher könnten (wirtschaftlich) selbstständig erwerbstätige Mütter Ansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend machen.

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