Handlungsbedarf bei der Regelung von Ausschlussfristen im Arbeitsvertrag I – Mindestentgelt

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24. August 2016 – 5 AZR 703/15 – (Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 17. September 2015 – 6 Sa 1328/14 –)

In vielen Arbeitsverträgen sind Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen der Vertragsparteien enthalten (sog. Verfallklauseln). Danach ist ein fälliger Anspruch innerhalb einer bestimmten, vertraglich gesetzten Frist geltend zu machen. Bei Verstreichenlassen dieser Frist verfällt der Anspruch. In einer bislang nur als Pressemeldung vorliegenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24.08.2016 hat das BAG nun entschieden, dass Verfallklauseln, die (auch) den Ausschluss von Mindestentgeltansprüchen, auf die ein Arbeitnehmer nicht verzichten kann, vorsehen, insgesamt unwirksam sind.

Hintergrund

Gesetzliche Mindestarbeitsbedingungen bestehen für eine Vielzahl von Branchen, so auch für den Bereich der Pflege in der PflegeArbbV, und branchenunabhängig gilt seit Beginn 2015 der gesetzliche Mindestlohn. Arbeitnehmer können nach der PflegeArbbV i. V. m. § 9 AEntG und nach dem MiLoG nicht auf das ihnen nach diesen Regelungen zustehende Mindestentgelt verzichten. Entsprechend kann die Geltendmachung von Mindestentgeltansprüchen auch nicht durch eine Verfallklausel ausgeschlossen werden. Unklar war bisher, ob eine Verfallklausel deshalb Mindestentgeltansprüche ausdrücklich von ihrem Anwendungsbereich ausnehmen muss.

Sachverhalt

Die Klägerin war vom 15. Juni 2013 bis 15. Dezember 2013 bei dem Beklagten als Pflegehilfskraft beschäftigt. Der Arbeitsvertrag enthielt in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eine Verfallklausel, wonach alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis  innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen sind. Bei Verstreichenlassen dieser Frist sollte ein Anspruch verfallen. Sofern sich die andere Vertragspartei zu einem geltend gemachten Anspruch innerhalb von zwei Wochen nicht oder ablehnend äußert, sollte der Anspruch verfallen, wenn er nicht innerhalb einer weiteren Frist von drei Monaten gerichtlich geltend gemacht wird.

Hintergrund der Klage war ein Streit zwischen den Parteien um Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Klägerin war in den letzten Wochen vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krankgeschrieben. Da der Beklagte trotz Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Zweifel an dem Vorliegen einer tatsächlichen Erkrankung der Klägerin hatte, leistete er keine Entgeltfortzahlung.

Die Klägerin verlangte erstmals Entgeltfortzahlung mit ihrer am 2. Juni 2014 erhobenen Klage. Unter Verweis auf die arbeitsvertragliche Verfallklausel verweigerte der Beklagte  die Entgeltfortzahlung. Er ist der Auffassung, dass der Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung jedenfalls wegen der nicht rechtzeitigen Geltendmachung verfallen sei. Das Arbeitsgericht folgte der Auffassung des Beklagten nicht, gab der Klage statt und sprach ihr die geltend gemachte Entgeltfortzahlung zu. Das Landesarbeitsgericht wies die gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts gerichtete Berufung des Beklagten zurück.

Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht bestätigte die Entscheidung der Vorinstanzen im Wesentlichen. Nach Auffassung des Gerichts verstößt die nach Inkrafttreten des PflegeArbbV verwendete Verfallklausel gegen § 9 S. 3 AEntG, da sie auch den Anspruch auf das Mindestentgelt der Klägerin nach § 2 PflegeArbbV ausschließt. Wegen des für Allgemeine Geschäftsbedingungen geltenden Transparenzgebots (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB) könne die Verfallklausel auch nicht für andere Ansprüche aufrechterhalten werden und ist insgesamt unwirksam.

Der Anspruch der Klägerin auf Entgeltfortzahlung war nicht wegen Verstreichenlassen der Ausschlussfrist verfallen und konnte auch noch über diesen Zeitpunkt hinaus erfolgreich geltend gemacht werden.

Hinweis für die Praxis

Im Anwendungsbereich der PflegeArbbV sind nach dem 01.08.2010 in Arbeitsverträgen geregelte Verfallklauseln nach Auffassung der Rechtsprechung insgesamt unwirksam, wenn sie die Geltendmachung von Mindestentgeltansprüchen von Arbeitnehmern nicht ausdrücklich vom Umfang der Verfallklausel ausnehmen.

Das Gleiche muss für Mindestlohnregelungen für andere Branchen genauso gelten wie für den Mindestlohn nach dem MiLoG. Es ist daher ratsam, Verfallklauseln in Musterarbeitsverträgen kritisch zu überprüfen und Mindestentgeltansprüche ausdrücklich vom Anwendungsbereich auszunehmen. Ob das auch für alle bestehenden, nach Inkrafttreten der jeweiligen Mindestentgeltvorschriften für die unterschiedlichen Branchen erforderlich ist, lässt sich nach der Pressemitteilung nur vermuten. Klarheit werden aber erst die Entscheidungsgründe bringen. Auf jeden Fall dann, wenn bestehende Arbeitsverträge geändert werden, sollte auch die Verfallklausel neu geregelt werden. Denn nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 18.11.2009 (4 AZR 514/08, BAGE 132, 261-267) sind Altverträge auch bei nur geringfügigen Änderungen insgesamt als Neuverträge anzusehen.

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