BAG, Urteil vom 19.03.2014 – 5 AZR 252/12         

Das Urteil des BAG vom 19.03.2014 bestätigt die Wirksamkeit eines von einem Arbeitnehmer unterzeichneten Arbeitsvertrages, auch wenn dieser der im Vertragstext verwendeten Sprache nicht mächtig ist.                

Sachverhalt    

Die Parteien streiten sich im Rahmen ausstehender Vergütungsansprüche über die Wirksamkeit einer im Arbeitsvertrag vereinbarten Ausschlussfrist. Der Kläger ist portugiesischer Staatsangehöriger, mit Wohnsitz in Portugal. Der Kläger ist der deutschen Sprache nicht mächtig. Die Beklagte ist ein deutsches Speditionsunternehmen mit einem Sitz in Portugal. Die Beklagte hat mit dem Kläger Einstellungsverhandlungen, über eine Stelle in Deutschland, auf Portugiesisch geführt. Der vom Arbeitnehmer zu unterzeichnende Arbeitsvertrag ist dabei in Deutsch verfasst. Der Arbeitnehmer unterzeichnet den Arbeitsvertrag ohne jegliche Anmerkung oder Vorbehalte. Die Klägerpartei rügt nun, die Gültigkeit der vereinbarten Ausschlussfrist.               

Rechtliche Würdigung            

Das BAG sieht kein Problem in der Annahmeerklärung des Arbeitnehmers, trotz des Umstandes, dass dieser die in deutscher Sprache abgefasste Fassung des Arbeitsvertrages aufgrund seiner fehlenden Sprachkenntnis nicht verstehen konnte.

Der Arbeitgeber könne die Unterzeichnung auch dann als Annahmeerklärung auffassen, wenn der Arbeitnehmer die jeweils benutzte Landessprache nicht, oder nicht ausreichend versteht. Das Sprachrisiko trägt demnach der Arbeitnehmer.

Die § 305 II, III BGB finden aufgrund von § 310 IV 2 BGB im Arbeitsrecht keine Anwendung.

Diese Auffassung liegt folgendem Grundgedanken zugrunde:     

Kein Arbeitnehmer ist verpflichtet, einen Arbeitsvertrag in fremder Sprache zu unterzeichnen. Er kann vielmehr eine Übersetzung in eine für Ihn verständliche Sprache verlangen, zumal das Unternehmen Standorte in Portugal führte. Macht er jedoch keinen Vorbehalt bezüglich seines Sprachmangels geltend, so ist er mit demjenigen gleichzustellen, der einen Vertrag ungelesen unterzeichnet. Es besteht daher keine Schutzwürdigkeit. Der Umstand, dass die vorangegangen Abschlussverhandlungen auf Portugiesisch geführt wurden, spielt dabei keine Rolle.

Weitergehend ist die Ausschlussklausel gemäß § 305c I BGB auch nicht überraschend. Bei der Anwendung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist stets ein abstrakt-genereller Maßstab anzuwenden. Das fehlende Sprachverständnis führt demnach nicht zu einer überraschenden Klausel, da man davon ausgehen kann, dass ein Arbeitnehmer, der einen solchen Vertrag unterzeichnet, auch den Inhalt des Vertragstextes verstanden hat.          

Die Ausschlussfrist könnte jedoch unter Berücksichtigung der konkret-individuellen Begleitumstände nach § 310 III Nr. 3 BGB gemäß § 307 I 2 BGB intransparent sein.

Der alleinige Zustand der fehlenden Sprachkenntnis des Unterzeichners reicht jedoch noch nicht für die Annahme einer unangemessenen Benachteiligung aus.                 Die Sprachunfähigkeit des Arbeitnehmers zählt zwar zu derartigen Begleitumständen, jedoch kann die Regelung des § 310 III 2 BGB eine Klausel, die der Inhaltskontrolle nach abstrakt-generellen Maßstäben genügt hat, nicht für unwirksam erklären. Vielmehr solle § 310 III 2 BGB den abstrakt-generellen Prüfungsmaßstab nach

§ 307 I 2 BGB ergänzen, nicht jedoch verdrängen, da dies eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge haben könnte. Für eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 I 2 BGB müsste also ein weiterer Umstand, wie das Drängen des Arbeitgebers auf Vertragsunterzeichnung ohne Übersetzung, hinzukommen.

Ausblick & Praxistipp              

Wer somit bei Vertragsunterzeichnung mit Rechtsbindungswillen handelt, hat lediglich die gesetzlichen Möglichkeiten, die Wirksamkeit des Vertrages aufzuheben (zum Beispiel durch Anfechtung nach § 119 I Alt. 1 BGB oder Widerruf).

Im Hinblick auf die weltweite Globalisierung und Vernetzung von Unternehmen wird das Sprachrisiko ein ständiges Thema bleiben. Auch deutschen Arbeitnehmer sind beispielsweise durch Verträge mit englischen Arbeitgebern betroffen.

Diese aus Arbeitgebersicht erfreuliche Entscheidung des BAG sollte jedoch nicht zur Ausnutzung des Sprachdefizits des Arbeitnehmers führen. Nutzt der Arbeitgeber diese aus, so kann die Wirksamkeit des Arbeitsvertrages trotz fehlender Sprachkenntnis, durch Arglist oder Sittenwidrigkeit nach § 138 I BGB, erlöschen.

Unternehmern ist danach zu raten, Vertragstexte im Zweifelsfall in mehrsprachiger Fassung (beispielsweise Portugiesisch und Englisch) zur Verfügung zu stellen, um sich vor oben genannten Anschuldigungen zu schützen. Bei Auslegungsfragen hat dabei stets die für das Unternehmen „Muttersprachliche“ Fassung den Vorrang.

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